Was wir heute erleben ist speziell.

Wir haben uns einen Stellplatz in der Nähe von Stralsund ausgesucht und eine Zusage bekommen.

Wir finden das Haus, es befindet sich in einer kleinen Siedlung, sozusagen „in the middle of nowhere“.

Eine kleine, dünne Frau mit wirrer Haartracht und Windel unter den Leggins, lotst uns mit seltsam anmutenden Anweisungen durch das enge Tor auf das Grundstück.

Ich fühle mich irgendwie an „Hänsel und Gretel“ erinnert, muss ich sagen…Die Dame, die wahrscheinlich wesentlich jünger ist als sie aussieht, scheint high oder betrunken.

Sie zeigt uns die Haushälfte, die sie als Gästehaus bezeichnet und wo sich das Gästebad befindet. Das Etablissement ist, ich will mal sagen, interessant!

Ein vollkommen heruntergekommenes Gebäude, dessen Inneres wohl schon sehr lange Zeit nicht mehr betreten wurde. Der Weg durch ein Treppenhaus zum hinten gelegenen Badezimmer wurde einigermaßen freigeräumt, ansonsten ist alles zugestellt. Das obere Stockwerk, soweit einzusehen, ist mit Spinnweben behangen. Soweit ich erkennen kann, gibt es Unmengen von gefüllten Einmachgläsern, Marmeladen, Tetrapacks mit selbstgepresstem Apfelsaft. Dazwischen Müll, Werkzeuge, defekte Maschinen, ich weiß nicht was noch alles.

Das Bad grenzt an eine alte Küche und an ein Zimmer mit Bett und altem Bettzeug. Soweit man unter dicken Staubschichten erkennen kann, wurden einst Wände, Fenster und Regale liebevoll dekoriert. Es ist alles so verdreckt, dass Dusche und Toilette klar als grob gereinigt erkennbar sind.

Es kostet mich viel Überwindung, aber ich dusche! Aus dem Hahn kommt klares, sauberes und warmes Wasser!

Das alles macht umso betroffener, als dass unser Auto vor dem Haus auf einer wunderschönen kleinen Blumenwiese steht, von der man genau sieht, dass sie durchdacht angelegt wurde und professionell gepflegt wird. Ein Stückchen weiter stößt man auf ein Hühnergehege, das liebevoll eingerichtet und picobello sauber ist. Das kleine Gartenstück, das zu unserem Stellplatz gehört,  ist gewollt „wild“ gehalten und von Gärtnerhand gestaltet. Der Gegensatz zum Gebäude könnte kaum krasser sein. Die kleine Frau ist verschwunden.

Am nächsten Morgen taucht sie wieder auf, deutlich klarer bei Verstand, und stellt sich vor. Ihr Name ist Anna.

Anna zeigt uns ihr riesiges Grundstück und erzählt dabei aus ihrem Leben. In Bayern geboren ist sie irgendwann nach der Wende immer weiter in den Nordosten geflüchtet, wo sie sich freier entfalten konnte. Die gelernte Gärtnerin, Mutter zweier Söhne, Kunsthandwerkerin, Reiseleiterin, Sterbebegleiterin, jetzige Frau eines Scherenschleifers u.v.m. lebt auf diesem Grundstück, wo sie perfekt durchdachte Permakulturen betreibt. Die Tierhaltung – es gibt alles Mögliche – ist einwandfrei, der Garten auf alternative Art perfekt gepflegt.

 

Nur der Mensch scheint irgendwo auf der Strecke geblieben zu sein.

Ein hochinteressantes Leben, das irgendwie und irgendwann gescheitert ist.

Diese Begegnung macht uns sehr nachdenklich. Wir reden noch eine ganze Weile darüber.